Herberge unter tausend Sternen

Text und Fotos: Stephan Käufer
Gamme im fahlen Morgenlicht

Gamme im fahlen Morgenlicht

Erstes fahles Licht eines beginnenden Morgens dringt durch die Rauchöffnung der Gamme. Tannenduft hat den Geruch des abendlichen, wärmenden Feuers im Innern der kegelförmigen Behausung verdrängt. Der frische Duft entsrömt der dicken Reisigschicht unter der Schlafstatt aus Rentierfellen. Den Schlafsack bis tief in die Stirn gezogen, dreht sich einer der Schläfer unruhig im Schlaf. Das Summen einer einzelnen Mücke lässt einen anderen aufhorchen. Waren das Schritte im Gras? Später ist das fahle Grau in der Rauchöffnung mit leichten Gelbtönen durchsetzt. Einer gähnt. Jener welcher sich eben noch unruhig hin und her wälzte liegt nun zufrieden auf seinem Lager, atmet ruhig im Tiefschlaf. Schnarchgeräusche aus einer anderen Ecke. Draußen vor der Gamme vermischen sich nun dichte Nebelschwaden über dem Hudningselva mit dem alles durchdringenden Licht der aufgehenden Sonne. Bilden im Zwielicht wabernde Traumgestalten, Trolle, Elfen, und verschwinden schließlich vollständig. So als wären sie den Wassern des Flusses in den Vektarensee, in dem der Hudningselva bei Roeyrvik aufgeht, gefolgt.

wabernde Traumgestalten

wabernde Traumgestalten

Ein paar Kilometer südwestlich des Boergefjell Nationalparks, ganz im Norden des Nordtröndelags und etwa vierhundert Kilometer nordöstlich von Trondheim liegt Roeyrvik, das Zentrum der Südsamen. Hier im Sami Nationalpark, da wo im Oktober oft der erste Schnee fällt und im Juni der letzte geht, werden von den Samen, den Ureinwohnern der Region die großen Rentierherden zusammengetrieben, bevor sie von LKW in ihr Winterlager am Trondheimfjord in der Nähe von Namsos verbracht werden. Hier stehen auch die Gammen, die traditionellen aus Baumstämmen kegelförmig errichteten mit Grassoden und Moosplacken abgedichteten und mit Rauchöffnung versehenen, traditionellen Winterlager der Samen. Im Deutschland zwischen den Weltkriegen dienten sie der Bündischen Jugend als Vorbild für ihr Fahrtenzelt, die Kothe. Im Norwegischen als Gamme bezeichnet, werden sie im Finnischen und Schwedischen auch Goathi oder Kota genannt. Niemand wird ihnen einen Stern verleihen ob ihres Komforts, ihrer Gastfreundschaft oder ihres Wellnessbereiches wegen, ähnlich einem Hotel. Allein die wohlige Geborgenheit mit der urigen Kraft ihres Feuers, der Duft frischen Tannenreisigs, die traumhafte Lage am Fluss, ein unvergleichbares Panorama und das überspannende Himmelszelt mit einem Firmament ungezählter Sterne bieten echten Luxus, verleihen jene imaginären Sterne, bei jenen, die das Einfache, Unkomplizierte schätzen.

Gamme, Goathi oder Kota

Gamme, Goathi oder Kota

„Die Samen glauben, dass der erste Same aus der Verbindung zwischen einer Frau und einem Bären entstand“, erzählt Brigitta Fossum. Sie leitet das Südsamen Museum und Kulturzentrum in Snasa. Etwa seit der Bronzezeit spricht man von der Sami-Kultur. Lange Jahre wurden die über Nordskandinavien und die Kola Halbinsel verteilt lebenden Ureinwohner unterdrückt. Nicht zuletzt auch von den christlichen Kirchen, ihr schamanischer Glaube wurde verboten. Doch im letzten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts hat ein Umdenken eingesetzt. Karasjok in der norwegischen Provinz Finnmark ist Sitz des autonomen Sami Parlamentes. Die Samen selbst bezeichnen ihr Siedlungsgebiet welches Teile von Finnland, das nördliche Norwegen und das nördliche Schweden umfasst als Sápmi.

Morgenerwachen am Hudningselva

Morgenerwachen am Hudningselva

Noch heute lebt die Mehrzahl der Samen von und mit der Rentierzucht. Viele ziehen im Frühjahr mit den Rentierherden in´s Fjell, die Berglandschaft. Auf diesen Zügen leben sie in Zelten. Nur wenige leben heute noch während der Winterzeit in den Gammen. „Ich bin auf facebook und liebe es shoppen zu gehen“, erklärt denn auch selbstbewusst die dreiundszwanzigjährige Sami Naina Helen Wigdahl. „Doch ich kenne auch meine Kultur und weiss, wo ich herkomme“, führt sie weiter aus. Naina lebt ebenfall in der Nähe von Snasa und räumt damit deutlich das Klischee vom Rentiernomaden vom Tisch. Im selben selbstbewussten Tonfall erklärt die achtzehnjährige Maja Sophie Lausen ebenfalls angehörige des Samenvolkes „Ich mache es“, und meint das auch so. Maja zieht während der Schulferien mit ihrer Familie durch die Berge. Dabei ist auch sie modisch gekleidet und trägt ebenso wie die jungen Frauen in den angesagten Städten dieser Welt, das aktuelle Turnschuhmodell eines großen amerikanischen Sportartikelherstellers.

Am Hudningselva

Am Hudningselva

Weit in den See hinein lassen sich die Kieselsteine durch das klare Wasser hindurch erkennen. Grün gesäumt ist das Ufer. Nadelwald, hier und da eine Birke. Flach steigen die Berge des Nationalparks am Horizont an. Auch jetzt, Anfang August grüßen einzelne Schneefelder. Ein paar Motorboote wiegen sich an den Stegen des kleinen Sportboothafens sacht im sanften Woogenspiel des Wassers. Die selbe Sonne die am frühen Morgen die Traumgestalten, die Trolle und Elfen hat verschwinden lassen, verführt nun dazu die Badesachen überzustreifen und mit einem Hechtsprung in das kühle Wasser des Namsvasnet einzutauchen. Kein Laut ist zu hören. Wer in den Boergefjell Nationalpark will, sollte mit Karte und Kompass umgehen können.

Im Borgefjell Nationalpark

Im Borgefjell Nationalpark

Mit einem Wetterumschwung ist jederzeit zu rechnen, Kleidung und Ausrüstung müssen dem Rechnung tragen. Die Berggipfel liegen bei eintausend Höhenmetern. Wanderwege gibt es keine, der Weg hinein führt in der Regel über den Namsvasnet. Die Fähre über den See legt in Namsvassgardan ab. Sie verkehrt von Mitte Juli bis Ende August, die Überfahrt kostet etwa 200 Kronen. Die Saison ist – geschuldet dem Wetter- sehr kurz. Dafür ist das Naturerlebniss intensiv. Bären, Elche, Rentiere, Polarfuchs, Vielfrass und Luchs kann man hier antreffen. Unterkünfte gibt es keine, leben muss man aus dem Rucksack und mit der Natur. Einsamkeit ist das Ziel und garantiert. Und ein Firmament, das mit abertausenden echten Sternen aufwarten kann.


64.883925,13.562821
Røyrvik, 7898 Limingen, Norwegen

Kalender von Stephan Käufer
Reisekalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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