Blumenpflücken während der Fahrt verboten!

Text und Fotos: Stephan Käufer
Barnaby alter British Leyland Bus

Barnaby alter British Leyland Bus

Ein lauter Knall, Fehlzündung. Rühren im Getriebe, Zwischengas, jetzt packt der Gang, er hält. Das Krächzen geht über in ein liebenswertes, regelmäßiges Tuckern. Die nun einsetzende konstante Beschleunigung des 1947er Leylands drückt die Fahrgäste sanft in das grün-rot-weiß geflämmte Polster. Wer weiss, vielleicht verspürt ja auch jemand den Rausch der Geschwindigkeit während der grüne Bus die Küstenstraße verlässt. Fort von der Torbay durch enge Kurven, vorbei an uralten Steinmauern und Hecken, über grüne Hügel, durch Wiesen und Wälder sucht Barnaby, wie er liebevoll genannt wird, seinen Weg nach Greenway House. Die letzte Steigung ist erreicht, sie verlangt ihm alles ab. Jetzt wird er langsamer, immer langsamer. Wann kommt die Aufforderung an die Fahrgäste zum Anschieben? Wieder Zwischengas, auch der Fahrer gibt sein Letztes, wieder ein Rühren, wieder ein Gang runter und wieder eine von lautem Knallen begleitete Fehlzündung. Mit einem Taschentuch wischt sich der Fahrer den Schweiß aus der Stirn. Es ist heiß im Bus, Fenster werden geöffnet, der Fahrtwind kühlt. Tatsächlich, Fahrtwind! Das herbeigesehnte, liebenswerte Tuckern erringt schließlich die Oberhand. Aufatmen im Bus. Bergab nimmt der 64- jährige Oldtimer unter lautem Schnaufen Fahrt auf, wird schneller. Glück gehabt! Anschieben nicht nötig und Blumenpflücken während der Fahrt verboten.

Torquay

Torquay

Im Südwesten Englands, nicht weit entfernt von den Stränden der Torbay, der sogenannten Englischen Riviera, und den Städten Torquay, Paignton und Brixham sowie östlich des manchmal schaurig, nebelverhangenen Dartmoor National Park liegt am Ufer des gleichnamigen Flusses Agatha Christies Ferienhaus. Bis ins Zeitalter Elisabeths I. reicht seine Geschichte in die Vergangenheit. Ende der 30iger Jahre des letzten Jahrhunderts kaufte die berühmte Kriminalautorin, die Figuren wie Hercule Poirot oder Miss Marple erschuf, den Landsitz und nutzte ihn als Feriensitz. Ihre Nachkommen übereigneten das Anwesen dem National Trust. Seit 2009 ist es der Öffentlichkeit zugänglich.

„Geschrieben hat sie hier nie, aber ihre Werke korrigiert“, berichtet Brenda Darrison. Die liebenswerte 81-jährige Lady schmunzelt. In Totnes in der Nähe lebt sie, trotz ihres Alters arbeitet sie als Guide auf dem Landsitz.

Greenway House

Greenway House

Im Bild hinter Brenda erkennt man die Autorin als vierjährige, zusammen mit ihrer Puppe Rosie. Lauscht man dem Raunen der Polstersessel im Nachbarzimmer, spürt man den Atem der vierziger Jahre. Sie erzählen sich, ein auf das andere Mal, Geschichten aus der Zeit der Alliierten Landung in der Normandie. Damals waren Amerikanische Marinesoldaten in den Mauern einquartiert und einer von ihnen Lt. Marshall Lee malte die Wandgemälde in der Bibliothek. Spielt da Glenn Miller im Hintergrund? Nein, die Sinne haben einen Streich gespielt. Brenda hebt wieder an zu berichten: „Drei Monate im Jahr, vier Wochen über Weihnachten, und acht Wochen im Sommer, war Christie hier“. Auf die berühmte Autorin, die 1890 in Torquay geboren wurde und aufwuchs, ist sie Stolz, man spürt es, kennengelernt hat sie sie nie. In diesem Moment schlägt die Standuhr vier. Die Besucher halten den Atem an, zählen jeden Stundenschlag, Tea Time ist doch erst später ...

Hortensien

Hortensien

Im parkähnlich angelegten Garten wiegen sich unterdessen die violetten Blüten der Hortensien sanft im warmen Wind. Unter den schattenspendenden, uralten Bäumen stehen sie Spalier entlang des Weges, der vom ockergelben Herrenhaus ans Wasser führt. Eine junge Frau blickt in die Richtung des Flusses „Dart“. Durch das Geäst der Bäume beobachtet sie sicher die Segelboote. Im Gras des abfallenden Geländes sitzen ein paar Besucher und blinzeln in die Sonne. Kinder spielen abseits. Von bunten Hüten beschirmte Touristen, stehen oberhalb auf dem Weg. Blütenduft und Vogelgezwitscher verleiht allem sanfte Leichtigkeit. Schmetterlinge fliegen umher und Frau Pilcher scheint nicht weit. Sommerfrische im englischen Süden, zurücklehnen im Gras, Spaziergang im Park, die Zeit steht still. Träumen – vielleicht vom Tod auf dem Nil oder dem Mord im Orient Express?

Golden Hind Nachbau an der Englischen Riviera

Golden Hind Nachbau an der Englischen Riviera

Auch mit dem Schiff lässt sich Greenway erreichen. Vorbei an der Küstenlinie des südlichen Devon, steuern die Boote in die fjordähnliche, tief ins Land einschneidende Mündung des „Dart“ Flusses. Schließlich legen sie am Fähranleger unterhalb des Anwesens an. Zwei Mal am Tag begibt sich Barnaby der Leyland auf seine beschwerliche Reise. Torquay ist hierbei Start- und Endpunkt. Zwei Haltestellen, eine in der Belgrave Road die andere, an der Cary Parade steuert der Bus an. Die Schiffe fahren am Hafen ab, die Häuschen mit den Ticketschaltern sind schwerlich zu übersehen. Auch bieten sich Tagestouren in die Kathedralstadt Exeter oder nach Plymouth sowie in das Dartmoor an. Für sportlich Aktive bieten die sanften Hügel und Klippen der Englischen Riviera genügend Raum zur Ausübung aller denkbaren Sportarten.

Hafen von Torquay

Hafen von Torquay

Die Passanten schrecken plötzlich zusammen. Mit lautem Knall hat der agile Mittsechziger gegen sechs am Abend seine Rückkehr verkündet. Rechtschaffen müde ist er, zufrieden mit seinem Tagwerk brummt nun sein Motor gemächlich vor sich hin. Hat er gerade, ähnlich einem Augenzwinkern, mit dem Scheinwerfer geblinzelt? Entspannt verlassen die letzten Reisenden den Bus. Es folgt das Altbekannte. Zwischengas, rühren im Getriebe und langsam, bedächtig fast, strebt Barnaby seiner Garage entgegen.


50.460174,-3.526184
Torquay, Vereinigtes Königreich

Blumenpflücken während der Fahrt verboten!
Kalender von Stephan Käufer
Reisekalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

weiterlesen
647 Besucher