Wind des Wandels

Text und Fotos: Stephan Käufer
Victory Flaggschiff von Admiral Nelson vor Trafalgar

Victory Flaggschiff von Admiral Nelson vor Trafalgar

Vom Atlantik und aus der Biskaya kommt der Wind. Er weht über die Bretagne, nimmt ein Stück der Normandie mit sich, und legt dann über dem Ärmelkanal noch einmal an Kraft zu. Schließlich trifft er im Süden Englands auf die britische Küste. Der Wind dieser Geschichte schiebt hoch aufgetürmte dunkle Wolkengebilde vor sich her. In den Wolkenlöchern bricht sich ab und an die Sonne Bahn, modelliert und hinterleuchtet die drohenden Gewitterwolken. Über die Isle of Wight und den Solent schiebt der Wind die Gewitterfront, damit sie in Portsmouth ihre mitgeführten Regentropfen auf den englischen Boden ergießen kann.
Auf dem Vorschiff der Fähre, die ebenso dem Festland entgegeneilt, hasten Männer umher und legen mit ruhiger Hand Taue bereit, um das Schiff sicher an seinem Anleger, im Fährhafen von Portsmouth, zu vertäuen. Im Hintergrund, hinter den Ziegelsteinschuppen, recken sich die Mastspitzen eines Segelschiffes in den Himmel. An ihrem letzten Ankerplatz liegt dort die „Victory“, Flaggschiff von Admiral Nelson während der Seeschlacht von Trafalgar.

Porthsmouth liegt am Solent

Porthsmouth liegt am Solent

Im Süden Englands, etwa eineinhalb Autostunden von der Hauptstadt London entfernt, liegt Portsmouth am Solent; einem Meeresarm, der die Isle of Wight vom Festland trennt. Die Stadt beherbergt eine der größten Marinebasen der Erde. Nirgendwo pulsiert das maritime Herz Englands stärker als in den Gassen der Stadt. In allen Jahrhunderten liefen von hier die Schiffe aus, welche das britische Empire begründeten und zusammenhielten. So ging auch am 14. September 1805 der englische Admiral Horatio Nelson mit seinem Flaggschiff, der HMS Victory von Portsmouth aus in See. Vor der Spitze von Kap Trafalgar, im Süden Spaniens traf er mit seinen Schiffen auf die vereinigte französisch / spanische Flotte und schlug diese in einer mehrstündigen Seeschlacht. Nelson fand bei der Schlacht den Tod. Er beendete aber durch den Sieg Napoleons Vormachtstellung in Europa und sicherte damit Englands Vorherrschaft auf den Meeren für weitere einhundert Jahre.

Kanonendonner und beißender Pulverdampf

Kanonendonner und beißender Pulverdampf

Durch die geöffneten Geschützpforten der Victory dringt gedämpftes Licht in die Decks. Kampfbereit sind ihre Geschütze ausgerannt. Auch die von der Decke herabhängenden orange leuchtenden Talglampen versuchen das Dunkel zu durchdringen. Aufgereiht steht hier Kanone an Kanone. Fein säuberlich sind die Abzugsschnüre um die Flintsteinschlösser der Geschütze gewickelt. Plötzlich ertönt Kanonendonner und beißender Pulverdampf erfüllt das Deck. Männer schwitzen, ächzen, stöhnen und schreien. Kommandos ertönen. Da kämpft Lucky Jack mit dem Entersäbel in der Hand. Doch, nein schade, es ist nicht Russel Crowe in seiner Rolle als Kapitän Jack Aubrey im Spielfilm „Master and Commander“. Actiongeladen und spannend beschreibt der Film das Leben auf einer englischen Fregatte zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Ein Reiseführer ist es, der sich einen Regenschirm schwingend, Aufmerksamkeit verschafft und eine Touristengruppe gestenreich, erklärend, durch das Innere des Schiffes führt, während sich auf seinem Oberdeck die Gewitterfront vom Atlantik entlädt.

Kathedrale von Salisbury

Kathedrale von Salisbury

Die Victory bildet den Mittelpunkt des Museumskomplexes „The Historic Dockyard“. In den ehemaligen Lagerschuppen sind ständige Ausstellungen zur Geschichte der Victory, zur Seeschlacht von Trafalgar, und der Royal Navy untergebracht. Sehenswert ist auch das „Mary Rose“ Museum. Hier werden Teile des im sechzehnten Jahrhundert vor Portsmouth gesunkenen Kriegsschiffes konserviert und ausgestellt. Der maritime Museumsbereich, sowie die im Jahre 2005 eröffnete Shopping Mall, „Gunwharf Quays“ mit dem in Form eines riesigen Segel konstruierten und 170m hohem „Spinnaker Tower“, bilden das touristische Zentrum von Portsmouth.
Auch Charles Dickens spielte schon im Schatten der Fachwerk- und Ziegelsteingiebel der Tavernen an der heute so genannten „Millennium Promenade“. Ein kleines Museum haben die Bürger dem Sohn der Stadt gewidmet. In Southsea einem Stadtteil von Portsmouth diagnostizierte Sir Arthur Conan Doyle in seiner Arztpraxis, während er seinem „Sherlock Holmes“ den Odem einhauchte. England, wie es englischer nicht sein könnte.

Weiter treibt der Wind über die Landstraßen, Wälder und Felder ins Landesinnere. An der Kathedrale von Salisbury, nordwestlich von Portsmouth, verfängt er sich im Schmuck ihres Vierungsturmes.

Fußgängerzone

Fußgängerzone

Das nördliche Querschiff des Gotteshauses ist eingerüstet. Handwerker sind damit beschäftigt, einen der Zierbögen neu zu verfugen. Drei Männer stehen unterhalb der Gerüste zusammen, gebeugt über große Zeichnungen, beraten sie über die weiteren Baumaßnahmen. Ist einer der Männer vielleicht Tom Builder?
Tom Builder, der Held aus Ken Follets mittlerweile auch verfilmtem Weltbestseller „Die Säulen der Erde“, ist Baumeister der imaginären Kathedrale von Kingsbridge. Die Kathedrale von Salisbury lieferte Follet, die Romanvorlage für den Bau einer mittelalterlichen Kathedrale. Viele seiner Beschreibungen lassen sich in dem Kirchenbau wiederfinden.

Paula Collins lebt in Salisbury. Mit britischem Stolz und leuchtenden Augen erzählt Sie: „Im Kapitelhaus der Kathedrale ist die am besten erhaltene Urschrift der Magna Charta ausgestellt.“ Drei weitere Urschriften existieren, aber die aus Salisbury gilt als die am besten erhaltene. Erklärend fügt Sie hinzu: „Die Magna Charta regelt, erstmals schriftlich festgehalten, das Rechtsverhältnis zwischen König und Untertanen“. Britisches Demokratieverständnis und Freiheitswille wurden in Städten wie Salisbury geprägt und über Hafenstädte wie Portsmouth in die Welt hinausgetragen. Nicht nur, dass die Magna Charta die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Erklärung der Menschenrechte entscheidend beeinflusst hat. Mit Stonehenge steht etwa 20 Kilometer nördlich von Salisbury ein Monument, entstanden zur selben Zeit als in Ägypten die Pyramiden entstanden. Wissenschaftler rätseln noch heute, welchem Zweck die Anlage von Stonehenge diente. Unbestritten legt sie aber Zeugnis ab für den hohen Entwicklungsstand der hier beheimateten Kultur.

Stonehenge

Stonehenge

Auch über die mondänen Seebäder Brighton und Eastbourne zieht der Wind dieser Geschichte und bringt uns zurück ans Meer. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann in ihnen der Badetourismus moderner Prägung. George Bernhard Shaw stieg regelmäßig in Eastbourne ab, George Orwell ging dort zur Schule und Virginia Wolf lebte in Monk´s Cottage, in der näheren Umgebung der Stadt. Die sehr gut erhaltenen und gepflegten Seebrücken sind eindrucksvolle Beispiele der Architektur des 19. Jahrhunderts. Und auch heute lässt es sich an den Stränden mit britischem Charme wunderbar relaxen und chillen. Durch alle Jahrhunderte weht in Südengland der Wind der Geschichte. Er nimmt hier jenes mit, lässt dort etwas zurück. Er zieht Segelschiffe hinaus auf die See und vertreibt dunkle Gewitterwolken, damit Entspannung suchende an sonnenbeschienenen Stränden Kraft und Ruhe tanken, oder sich mit der Kultur des Landes beschäftigen können. Südengland bietet von allem etwas.


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Salisbury, Vereinigtes Königreich

Kalender von Stephan Käufer
Reisekalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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